Welche Zweifel rechtfertigen es von einem Strafklageverbrauch auszugehen?
Sachverhalt
Der Angeklagte wurde am 19.07.2016 des fahrlässigen Führens eines Kraftfahrzeugs unter Wirkung eines berauschenden Mittels gem. § 24a StVG schuldiggesprochen. Bereits am 25.01.2016 war er wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln strafrechtliche verurteilt worden und dieses Urteil wurde rechtskräftig. Hintergrund der beiden Vorwürfe war eine Fahrt des Angeklagten am 31.07.2015. Im Rahmen einer allgemeinen Verkehrskontrolle stellte sich heraus, dass der Angeklagte seinen Pkw unter Einfluss von Amphetamin führte. Außerdem fand man in der Hosentasche seiner Arbeitskleidung ein mit Amphetamin gefülltes „Überraschungsei“.
Entscheidungsgegenstand
Gegen den Schuldspruch im Ordnungswidrigkeitenverfahren (Führen eines KFZ unter Wirkung eines berauschenden Mittels) legte der Angeklagte Rechtsbeschwerde ein.
Entscheidung
Das OLG Köln hob die Verurteilung des Amtsgerichts auf.
Im Fall von Ordnungswidrigkeiten ist der Strafklageverbrauch im § 84 I OWiG geregelt, wonach eine Tat nicht mehr als Ordnungswidrigkeit verfolgt werden kann, sollte ihr Rechtskraft entgegenstehen. „Tat“ in diesem Sinne ist die prozessuale Tat, d.h. ein zusammenhängender geschichtlicher Vorgang, welcher nach natürlicher Lebensauffassung einen einheitlichen Lebensvorgang darstellt und einzelne Verhaltensweisen des Täters verklammert, sodass eine getrennte Aburteilung im gerichtlichen Verfahren zu einer als unnatürlich empfunden Aufspaltung dieses einheitlichen Lebensvorgangs führen würde.
Beim Führen eines Kfz unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln und dem Besitz von Betäubungsmitteln ist nach der Rechtsprechung nur dann von einer prozessualen Tat auszugehen, wenn die Betäubungsmittel nicht nur „bei Gelegenheit“ der Fahrt im Besitz des Betroffenen waren, sondern dieser diese während der Fahrt in Besitz hatte, um sie zu transportieren, zu finanzieren, an einen sicheren Ort zu bringen, sie zu verstecken oder dem staatlichen Zugriff zu entziehen. Maßgeblich ist demnach ein Finalzusammenhang, also das Fahren zum Zwecke des Transports von Betäubungsmitteln.
Vorliegend käme ein solcher Zusammenhang grundsätzlich deswegen in Betracht, weil beim Angeklagten ein mit Rauschgift gefülltes Überraschungsei aufgefunden wurde.
Ein Ordnungswidrigkeitenverfahren kann gem. §§ 206a, 260 III StPO nur dann durchgeführt werden, wenn kein Verfahrenshindernis entgegensteht. Hierüber kann erst nach Abschöpfung aller Erkenntnismöglichkeiten entschieden werden. Vergleichbar mit der Anwendung des „in dubio pro reo“- Grundsatzes kann auch die Möglichkeit des Strafklageverbrauchs erst nach vollständig durchgeführter Beweisaufnahme in Betracht gezogen werden.
Die Überprüfung des Vorliegens der Verfahrensvorrausetzungen kann grundsätzlich in jeder Lage des Verfahrens nach den Regeln des Freibeweises erfolgen. Deshalb befasste sich das Beschwerdegericht unter Beiziehung und Auswertung der betroffenen Akten mit der Frage des Strafklageverbrauchs, kam jedoch zu dem Schluss keine Entscheidung treffen zu können und zur weitergehenden Ausschöpfung von Erkenntnismöglichkeiten die Materie zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Nach der Auffassung des Gerichts sei eine Überprüfung von Verfahrenshindernissen ausnahmsweise im Strengbeweisverfahren durchzuführen, da es auf den genauen Tathergang ankomme. Theoretische nur denkgesetzlich mögliche Zweifel am Vorliegen von Verfahrensvoraussetzungen sind für die Annahme eines Verfahrenshindernisses nicht ausreichend, vielmehr müssen konkrete, tatsächliche Umstände vorliegen, welche nach Ausnutzen aller Erkenntnismöglichkeiten, den unüberwindbaren Schluss zulassen, dass die Möglichkeit eines Verfahrenshindernisses nicht ausgeschlossen werden kann.
Kommentierung der Entscheidung aus unserer Sicht
Die Entscheidung ist eine von vielen Entscheidungen, die sich mit der Frage des Strafklageverbrauchs bei sog. Betäubungsmittelfahrten befassen. Interessant an der Entscheidung ist, wie weit die gerichtliche Aufklärungspflicht in diesem Zusammenhang geht, welche Differenzierung zwischen Frei- und Strengbeweisverfahren vorzunehmen ist und wie mit Zweifeln an dem Vorliegen des Strafklageverbrauchs umzugehen ist. Das OLG Köln hat dabei einen nicht nur angeklagtenfreundlichen Ansatz gewählt, gleichwohl aber auch deutlich gemacht, dass verbleibende Zweifel zu Gunsten des Angeklagten wirken. Insgesamt handelt es sich um eine wichtige Entscheidung, deren Entscheidungsbegründung über die Entscheidung des konkreten Einzelfalls hinausgeht.
Gericht: OLG Köln
Aktenzeichen: III - 1 RBs 361/16
Datum der Entscheidung: 21.02.2017
Normen: § 264 StPO; § 84 Abs. 1 OWiG