Kann die Verhängung einer Jugendstrafe allein mit der Schwere der Straftat und den dadurch verursachten Verletzungen begründet werden?
Sachverhalt:
Ein erheblich alkoholisierter, siebzehnjähriger Jugendliche stach aus Ärger darüber, dass ihm der Geschädigte keine Zigarette abgeben wollte, diesem spontan zweimal mit einem Messer. Hierbei traf der erste Stich lediglich die Jacke, der zweite Stich verursachte eine zwei Zentimeter tiefe Fleischwunde am Bauch des Zeugen.
In erster Instanz wurde der Jugendliche vom Amtsgericht Tiergarten-Jugendgericht- in Berlin wegen gefährlicher Körperverletzung schuldig gesprochen. Das Gericht verhängte gegen ihn zwei Freizeitarreste und erteilte ihm die Auflage 300,00 EUR Schmerzensgeld an den Geschädigten zu bezahlen.
Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft änderte das Landgericht den Rechtsfolgenausspruch ab und verhängte allein wegen der Schwere der Schuld nach § 17 Abs. 2 JGG eine Jugendstrafe von neun Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Entscheidungsgegenstand:
Das Kammergericht Berlin hatte darüber zu entscheiden, ob die Annahme der Schwere der Schuld lediglich auf die Gefährlichkeit der schweren Gewalttat an sich, also auf das in der Tathandlung zum Ausdruck kommende Tatunrecht gestützt werden kann.
Entscheidung und Begründung:
Die Entscheidung des Landgerichts erweist sich nach Ausführung des Kammergerichts bei einem Jugendlichen als rechtsfehlerhaft und hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Schwere der Schuld i.S.d. § 17 Abs. 2 JGG bemesse sich nach dem Gewicht der Tat und der in der Persönlichkeit des Angeklagten begründeten Beziehung zu ihr. Dem äußeren Unrechtsgehalt der Tat komme hierbei keine selbstständige Bedeutung zu. Entscheidend sei vielmehr die innere Tatseite, d.h. inwieweit sich die charakterliche Haltung und die Persönlichkeit sowie die Tatmotivation des Jugendlichen in vorwerfbarer Schuld niedergeschlagen haben.
Hinzu komme, dass Jugendstrafe nur verhängt werden dürfe, wenn und soweit dies aus erzieherischen Gründen auch zum Zeitpunkt der Urteilsfindung noch erforderlich ist. Dies gelte auch für die reine Schuldstrafe nach § 17 Abs. 2 2. Alt. JGG und müsse im Urteil klar begründet und dargelegt werden.
Die vorliegende Begründung des Landgerichts, trotz der positiven Entwicklung des Angeklagten nach dem erstinstanzlichen Urteil sei es erforderlich, eine Jugendstrafe zu verhängen, weil er den Zeugen schwerwiegend verletzt hat, genüge den besonderen Begründungsvoraussetzungen hinsichtlich eines aktuell bestehenden Erziehungsbedürfnisses nicht.
Kommentierung der Entscheidung aus unserer Sicht:
Bei den Tatgerichten ist eine Tendenz dahingehend festzustellen, dass beim Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung auch ohne strafrechtlich bedeutsames Vorleben bei Jugendlichen sofort zur Verhängung von Jugendstrafen gegriffen wird. Auch wenn diese Jugendstrafe in aller Regel jedenfalls dann zur Bewährung ausgesetzt wird, wenn beim Opfer keine zu schweren Folgen verblieben sind, so sind derartige Entscheidungen mit der Rechtsprechung der Revisionsgerichte regelmäßig nicht zu vereinbaren.
Die vorliegende Entscheidung des Kammergerichts bildet hierfür ein schönes Beispiel. Es bleibt zu hoffen, dass durch derartige Revisionsentscheidungen der geschilderte Trend wiederum gestoppt werden kann.
Name des Gerichts: KG Berlin
Datum: 17.02.2012
Aktenzeichen: I Ss 540/11 (336/II)
Normen: § 17 Abs. 2 JGG, §§ 223, 224 StGB