Knutschfleck unter Jugendlichen – Ein Fall für die DNA-Datenbank der Sexualstraftäter?
Sachverhalt:
Ein Jugendlicher wurde durch Urteil des Amtsgerichts Arnstadt wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern verwarnt und ihm wurden 60 Stunden gemeinnütziger Arbeit auferlegt. Der zum Tatzeitpunkt 14-jährige hatte eine - wie er wusste - zum Tatzeitpunkt 13-jährige Klassenkameradin am Hals geküsst, so dass ein sogenannter "Knutschfleck" deutlich sichtbaren Ausmaßes entstand. Außerdem habe er ihr mehrfach mit seinen Händen an das bedeckte Geschlechtsteil gegriffen.
Das Amtsgericht Erfurt ordnete aufgrund dieser Verurteilung die Entnahme und molekulargenetische Untersuchung von Körperzellen des Jugendlichen zur Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters an. Die Eigenschaften sollten in die DNA-Analysedatei eingestellt werden. Die hiergegen eingelegte Beschwerde verwarf das Landgericht Erfurt als unbegründet.
Entscheidungsgegenstand:
Da es kein weiteres Rechtsmittel gibt, hat der Jugendliche Verfassungsbeschwerde eingelegt. Das Bundesverfassungsgericht hat nun über darüber zu entscheiden, ob der Beschluss des Amtsgerichts Erfurt eine Grundrechtsverletzung des Jugendlichen darstellt.
Entscheidung und Begründung:
Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts liegt noch nicht vor. Im Rahmen einer einstweiligen Anordnung wird aber bereits deutlich, dass das Bundesverfassungsgericht der Verfassungsbeschwerde durchaus eine Aussicht auf Erfolg einräumt. So führt das Gericht aus, dass der Beschwerdeführer rügt, dass die zu treffende Prognoseentscheidung nicht ausreichend einzelfallbezogen begründet worden sei. Insbesondere sei nicht berücksichtigt worden, dass er zur Tatzeit selbst erst 14 Jahre alt gewesen sei und die Handlungen aus seiner Sicht auf gegenseitiger Zuneigung beruht hätten. Es habe es sich daher um eine jugendtypische Tat und keinesfalls um eine solche von erheblicher Bedeutung gehandelt. Weiter heißt es dann wörtlich, dass die angegriffenen Entscheidungen zu diesen besonderen, im Rahmen einer Entscheidung nach § 81g StPO möglicherweise relevanten Umständen keinerlei Ausführungen enthalten. Der Verfassungsbeschwerde könne daher jedenfalls nicht von vornherein die Erfolgsaussichten abgesprochen werden.
Im Rahmen der einstweiligen Anordnung wurde daher die Entnahme der Körperzellen vorläufig untersagt. Der mit einer solchen Vollziehung verbundene Eingriff in die Grundrechte des Jugendlichen wiegt besonders schwer und kann auch durch eine spätere Löschung der erhobenen Daten nicht vollständig rückgängig gemacht werden. Gegenüber diesem zumindest teilweise irreparablen Rechtsverlust, wiegen die Nachteile, die entstünden, wenn eine einstweilige Anordnung erlassen würde, die Verfassungsbeschwerde aber später keinen Erfolg hätte, weniger schwer.
Kommentierung der Entscheidung aus unserer Sicht:
Die angegriffene Entscheidung macht deutlich, dass in der täglichen Praxis die Gerichte die Polizeibehörden immer bereitwilliger bei deren Vorhaben unterstützen, eine möglichst lückenlose DNA-Datenbank aufzubauen.
Dabei verkennen die Ermittler, dass eine noch so lückenlose Datenbank nur ein vermeintlich sicherer und deshalb sehr gefährlicher Beweis ist. Denn erstens stammt nicht jede am Tatort gefundene DNA-Spur zwingend vom Täter und außerdem wird je größer die Lückenlosigkeit der Erfassung wird, die statistische Wahrscheinlichkeit des verwirklichten Fehlers immer größer.
Ein Lottogewinn ist statistisch äußerst selten, gleichwohl wird jedes Wochenende ein solcher Gewinn gezogen. Ist die gesamte Bevölkerung erst einmal in der Datenbank erfasst, so ist der Datenpool so groß, dass der mögliche Fehler nicht nur theoretische, sondern auch praktische Relevanz erhält.
Die Ermittler müssen daher stets nach den klassischen Ermittlungsprinzipien vorgehen und der DNA-Beweis führt nur dann zur theoretischen und praktischen Sicherheit, wenn er zu einem bereits aus anderen Gründen Verdächtigen passt. Das Bundesverfassungsgericht täte gut daran, dem in der Praxis ganz klar zu beobachtenden Streben nach lückenloser Erfassung von DNA-Mustern einen klaren Riegel vorzuschieben.
BVerfG, 23.01.2013 - 2 BvR 2392/12