DMS Strafrecht

Gefahr im Verzug - Erinnerungslücken der zuständigen Staatsanwältin gehen zu Lasten der Verwertbarkeit!

Sachverhalt

Der Zeuge Q hatte Angaben gemacht, die den Betrieb einer Cannabisplantage in den Räumlichkeiten seines Mieters nahelegen. Dies begründete den Anfangsverdacht in Verbindung mit den vor Ort getroffenen Feststellungen der Polizeibeamten dahingehend, dass sich der Beschuldigte wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz strafbar gemacht haben könnte. Danach bestanden konkrete Anhaltspunkte dafür, dass eine Durchsuchung bei dem Beschuldigten zum Auffinden von Beweismitteln würde führen könnte. Angesichts des Einsatzes der Polizeibeamten in einem Mehrfamilienhaus unter Berücksichtigung der mit dem Einsatz der Beamten verbunden Außenwirkung bestand auch die naheliegende Gefahr, dass der Beschuldigte von Dritten darüber informiert werden würde, dass die Polizei einen Einsatz in seiner Wohnung vorgenommen hatte. Naheliegende Reaktion des Beschuldigten wäre es dann gewesen, die von ihm betriebene Plantage zu beseitigen. Allerdings befand sich der Beschuldigte nach den polizeilichen Feststellungen gar nicht in seiner Wohnung. Somit konnte der mit der Einschaltung des Ermittlungsrichters einhergehenden Verzögerung der Durchsuchung durch polizeiliche Maßnahmen, etwa durch ein weiteres Zuwarten der Beamten vor dem vom Beschuldigten genutzten Zimmer, bis zu einer Entscheidung des Ermittlungsrichters begegnet werden. Auf jeden Fall bestand vor einem etwaigen Beweismittelverlust die Möglichkeit, Kontakt zu dem zuständigen Richter aufzunehmen. Nach dem Bericht der POK'in J. wurde "die diensthabende Richterin" mit der Sache nicht befasst. Die anordnende Staatsanwältin selbst hat keine Erinnerung mehr an den Vorgang. Somit ist angesichts des Akteninhalts davon auszugehen, dass überhaupt nicht versucht worden ist, eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Weitere Ermittlungsansätze zu der Frage, ob der Versuch unternommen wurde, einen Ermittlungsrichter zu erreichen, sind nicht ersichtlich.

 

Entscheidungsgegenstand

Die Staatsanwaltschaft hat gegen den Beschuldigten Anklage erhoben und das Landgericht hatte nun zu entscheiden, ob das Hauptverfahren gegen den Angeschuldigten zu eröffnen ist. Zentrale Frage war hierbei, ob die im Rahmen der Durchsuchung sichergestellten Beweismittel im weiteren Verfahren verwertbar sind und somit auch geeignet sein können, einen hinreichenden Tatverdacht gegen den Beschuldigten zu begründen.

 

Entscheidung und Begründung

Das LG Köln hat die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt. Zur Begründung führt es aus, dass gemäß § 105 Abs. 1 S. 1 StPO Durchsuchungen nur durch den Richter angeordnet werden düren; bei Gefahr im Verzug steht diese Kompetenz auch der Staatsanwaltschaft bzw. ihren Ermittlungspersonen zu. Gefahr im Verzug ist dabei nur anzunehmen, wenn die richterliche Anordnung nicht mehr eingeholt werden kann, ohne dass der Zweck der Maßnahme gefährdet wird. Kann hingegen der Richter mit dem Durchsuchungsbegehren befasst werden und über dieses entscheiden, ohne dass damit ein Risiko des Verlusts von Beweismitteln verbunden ist, ist für einen Rückgriff auf die Eilkompetenz der Strafverfolgungsbehörden kein Raum. Da die Regelzuständigkeit des Richters in der Praxis effektiv bleiben muss und auf eine vorbeugende Kontrolle der Maßnahme durch eine unabhängige und neutrale Instanz abzielt, haben die Strafverfolgungsbehörden grundsätzlich den Versuch zu unternehmen, zuvor eine richterliche Anordnung zu erwirken. Lediglich in Ausnahmesituationen, wenn die zeitliche Verzögerung zu einem Verlust des Beweismittels führt, dürfen die Strafverfolgungsbehörden die Anordnung wegen Gefahr im Verzug selbst treffen, ohne sich zuvor um eine richterliche Entscheidung bemüht zu haben. Vorliegend hätte daher der Kontakt zur Ermittlungsrichterin aufgenommen werden müssen. Da dies ohne nachvollziehbaren Grund unterblieb, führt dies zu einem Beweisverwertungsverbot. Zwar begründet nicht jeder Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften ein strafprozessuales Verwertungsverbot, vielmehr ist die Frage des Beweisverwertungsverbots jeweils nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Art des Verbots und dem Gewicht des Verstoßes unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden. Bei der Annahme von Gefahr im Verzug führen nur geringfügige Versäumnisse oder Ungeschicklichkeiten von Ermittlungsbeamten nicht ohne Weiteres zu einem Beweisverwertungsverbot. Anders liegt der Fall bei einem schwerwiegenden Verstoß gegen den Richtervorbehalt, in denen der Richtervorbehalt gezielt oder leichtfertig umgangen wird. Ein solcher schwerwiegender Verstoß liegt hier vor. Die zuständige Staatsanwältin hat die Bedeutung des Richtervorbehalts grundlegend verkannt, als sie keine Anstrengungen unternommen hat, einen Ermittlungsrichter zu erreichen, obwohl eine Erreichbarkeit grundsätzlich für den Zeitraum der Durchsuchung bestand, ohne dass Gründe hierfür ersichtlich sind. Der Richtervorbehalt wurde damit leichtfertig umgangen.

Gericht: LG Köln
Datum der Entscheidung: 09.05.2019
Aktenzeichen: 108 KLs 42/18
Fundstelle: StV 2020, 365