Ist die bewaffnete telefonische Bestellung von Betäubungsmitteln ein bewaffnetes Handeltreiben?
Sachverhalt
Der Angeklagte verfügte am 11. April 2017 in seiner Wohnung über einen Vorrat an Betäubungsmitteln, die teilweise zur gewinnbringenden Weiterveräußerung und teilweise zum Eigenkonsum bestimmt waren. Bei der an diesem Tag durchgeführten Wohnungsdurchsuchung wurden 118 g Amphetamin, 9,5 g kristallines Ecstasy und 412 Ecstasy-Tabletten aufgefunden. Hiervon waren 80 g Amphetamin mit einem Wirkstoffgehalt von 18,2 % Amphetamin-Base sowie 8,55 g kristallines Ecstasy und 371 Ecstasy-Tabletten mit einer Gesamtwirkstoffmenge von 46,2 g MDMA-Hydrochlorid zur Veräußerung vorgesehen. Der Rest der vorgefundenen Betäubungsmittel diente dem Eigenkonsum. Zudem fanden sich im Zuge der Wohnungsdurchsuchung neben der Schrankwand im Wohnzimmer, in der ein Großteil der Ecstasy-Tabletten aufbewahrt wurden, ein Jagdmesser und ein ausgezogener Teleskopschlagstock, in einer Schublade im Büroschrank ein Springmesser und in einer Schublade des Schlafzimmerschrankes ein weiterer ausziehbarer Teleskopschlagstock. Darüber hinaus lagerte der Angeklagte am 11. April 2017 in einem Schrank im Büro der Wohnung eine in einem Originalkoffer verpackte, geladene und funktionsfähige halbautomatische Schreckschuss-, Reizstoff- und Signalpistole der Marke Röhm, Modell RG 88, nebst Zubehör. Sämtliche Gegenstände befanden sich mit Wissen des Angeklagten für diesen ohne Weiteres zugriffsbereit in seiner Wohnung. Der Angeklagte hatte aus seiner Wohnung heraus bei seinem Lieferanten eine Bestellung von Betäubungsmitteln in Auftrag gegeben. Die bestellten Betäubungsmittel ‒ 198 g Marihuana, 190 g Amphetamin und 106 Ecstasy-Tabletten ‒ wurden vom Lieferanten noch am 11. April 2017 zum Wohnanwesen des Angeklagten gebracht, wo sie von der Polizei vor dem Haus beim Lieferanten aufgefunden und sichergestellt wurden. Der Angeklagte beabsichtigte, von den bestellten Betäubungsmitteln 168 g Marihuana mit einem Wirkstoffanteil von 12,05 % THC, 130 g Amphetamin mit einem Wirkstoffgehalt von 15,7 % Amphetamin-Base sowie 95 Ecstasy-Tabletten mit einer Wirkstoffmenge von insgesamt 17 g MDMA-Hydrochlorid gewinnbringend zu veräußern.
Entscheidungsgegenstand
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „bewaffneten unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit bewaffnetem unerlaubten Sichverschaffen von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich die Revision des Angeklagten mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts. Der Bundesgerichtshof hatte nun über diese Revision zu entscheiden.
Entscheidung und Begründung
Der Bundesgerichtshof hat das Urteil hinsichtlich des Strafausspruchs aufgehoben, die zentrale Frage, nämlich diejenige, ob bewaffnetes unerlaubtes Handeltreiben vorliegt, jedoch im Sinne des Landgerichts ebenfalls bejaht. Eine den Anwendungsbereich der Norm einschränkende Auslegung des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG sei nicht geboten. Soweit in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht tragend erwogen worden sei, Fälle, in denen nach Lage der Dinge schlechterdings keine Gefahr für das geschützte Rechtsgut besteht, im Wege einer teleologischen Reduktion der Vorschrift von der Strafbarkeit nach § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG auszunehmen, folge der Senat dem nicht. Zur Begründung führt der vierte Senat aus, dass für eine einschränkende Auslegung des Tatbestands im Wege einer teleologischen Reduktion schon deshalb kein Raum sei, weil sich für die Beurteilung der Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Gefahr für das geschützte Rechtsgut nach Lage der Dinge gänzlich ausgeschlossen erscheint, vor dem Hintergrund des weiten Verständnisses des Handelsbegriffes im Betäubungsmittelstrafrecht und des Schutzzwecks des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG keine sachgerechten, abstrakt formulierbaren Kriterien finden lassen würden. Überlegungen, die Strafbarkeit des bewaffneten Handeltreibens auf Konstellationen eines zeitgleichen Zugriffs des Täters auf Schusswaffe bzw. gefährlichen Gegenstand und die Betäubungsmittel zu beschränken, haben wegen der damit verbundenen Privilegierung bewaffneter, am eigentlichen Güterumsatz unmittelbar nicht beteiligter Hintermänner in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs keine Zustimmung erfahren. Da die Strafnorm des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG nach den Intentionen des Gesetzgebers auf den Schutz der Allgemeinheit vor bewaffneten Tätern abzielt, umfasst ihr Schutzzweck nicht nur am Betäubungsmittelumsatz als Abnehmer oder Lieferanten Beteiligte, sondern alle Personen, die ‒ sei es aus Tätersicht auch ungewollt oder zufällig ‒ in Kontakt mit dem Täter geraten. Zu Letzteren gehören insbesondere auch offen oder verdeckt agierende Angehörige des Zolls oder der Polizei. Ein Abstellen darauf, ob es beim Mitsichführen der Schusswaffe oder des gefährlichen Gegenstandes tatsächlich zu einer potentiellen oder gar konkreten Gefahrenlage gekommen ist, lasse sich mit der Struktur der Strafvorschrift als abstraktes Gefährdungsdelikt nicht in Einklang bringen.
Gericht: BGH
Datum der Entscheidung: 28.01.2020
Aktenzeichen: 4 StR 303/19
Fundstelle: StV 2020, 395 m. Anm. Dehne-Niemann