Zahlungsunfähigkeit aufgrund sog. wirtschaftskriminalistischer Beweisanzeichen?
Sachverhalt
Dem Angeklagten wird vorgeworfen, faktischer Geschäftsführer der am 4. August 2011 gegründeten G UG zu sein, die ein Restaurant mit Bar betreibt. Zunächst galt das Lokal als Szene Bar und die Geschäfte liefen gut. Ende des Jahres 2012 kommt es jedoch zu einem Umsatzeinbruch. Auf dem auf Guthabenbasis geführten Konto gibt es zwar regelmäßige Einnahmen, denen jedoch auch Ausgaben in entsprechender Höhe gegenüberstehen. Nennenswerte Reserven waren insoweit nicht feststellbar. Ab Juni 2014 nahmen Verspätungen bei den Zahlungen der Sozialversicherungsbeiträge signifikant zu. Dies führte im April 2015 zu einem Fremdinsolvenzantrag durch die AOK. Dieser Antrag wurde allerdings im Oktober 2015 nach entsprechenden Zahlungen durch die AOK für erledigt erklärt. Der Lohn wurde den Angestellten regelmäßig in bar unmittelbar aus den Bareinnahmen ausbezahlt. Diese Einnahmen wurden in einem Tresor im Lokal verwahrt. In den Jahren 2012 und 2013 gab es Verbindlichkeiten, die nicht bzw. nur schleppend bezahlt wurden. So hat ein Handwerker seine im Februar 2012 fällig gewordene Forderung in Höhe von 750 € erst ein Jahr später erhalten. Zwei weitere Gläubiger hätten ihre Forderungen einklagen und im Zwangsvollstreckungsverfahren beitreiben müssen. Ab Juli 2013 kam es immer wieder zu Vollstreckungsaufträgen, die in drei Fällen im Laufe des Jahres 2014 zu Pfandabständen geführt hätten. Beim zuständigen Finanzamt sind rückständige Steuern und Säumniszuschläge aufgelaufen, die sich bis Mai 2016 auf 62.066,11 € summiert hätten. Der Geschäftsbetrieb wurde zum 31. Oktober 2015 eingestellt. Mit Beschluss des Amtsgerichts N. vom 29. September 2016 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft auf Antrag des Finanzamtes eröffnet. Die Staatsanwaltschaft behauptet, dass die Gesellschaft spätestens seit dem 1. Juni 2014 dauerhaft nicht mehr in der Lage gewesen sei, ihre Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen, was dem Angeklagten bekannt gewesen sei. Einen Insolvenzantrag habe er dennoch nicht gestellt. Er habe es zudem unterlassen, Bilanzen für die Jahre 2012 bis 2015 zu erstellen. Für die Jahre 2012 bis 2014 wurde dies während des Strafverfahrens jedoch nachgeholt.
Entscheidungsgegenstand
DDas Landgericht hat den Angeklagten der Insolvenzverschleppung und des Bankrotts schuldig gesprochen. Der Bundesgerichtshof hatte sich nun mit der Richtigkeit der landgerichtlichen Feststellungen auseinanderzusetzen.
Entscheidung
Der Bundesgerichtshof führt aus, dass die Feststellungen des Landgerichts in rechtlicher Hinsicht den Schluss, der Angeklagte habe die Geschäfte der G. UG faktisch geführt ausreichend tragen würden. Insbesondere sei aussagekräftig belegt, dass der Angeklagte gegenüber dem formellen Geschäftsführer, der sich ihm unterordnete und ihn als weisungsbefugt akzeptierte, eine beherrschende Stellung innegehabt habe. Die Feststellungen zum Auftreten des Angeklagten als Verantwortlichem u.a. gegenüber Lieferanten, Gerichtsvollziehern und Krankenkassen und dem Mitangeklagten aber auch gegenüber Angestellten, die ihn als „Chef“ ansahen und denen er Arbeitsanweisungen erteilte, und zu seiner Funktion als „Letztentscheider“ hinsichtlich unternehmerischer Fragen und der Finanzkontrolle beruhen auf einer tragfähigen Beweiswürdigung. Die Urteilsgründe würden aber keinen ausreichenden Beleg dafür bieten, dass die G. UG zahlungsunfähig oder überschuldet war. Dies ist allerdings Voraussetzung für die strafbewehrte Pflicht, Insolvenzantrag zu stellen. Von der Zahlungsunfähigkeit abzugrenzen sei die bloße Zahlungsstockung, d.h. der kurzfristig behebbare Mangel an flüssigen Mitteln. Dieser muss in einem Zeitraum von höchstens drei Wochen zu beseitigen sein, da eine kreditwürdige Person in der Lage ist, sich binnen dieser Frist die benötigten Beträge darlehensweise zu beschaffen. Die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit könne entweder durch die betriebswirtschaftliche Methode oder durch sogenannte wirtschaftskriminalistische Beweisanzeichen erfolgen. Das Landgericht hat sich für die Annahme der Zahlungsunfähigkeit auf die wirtschaftskriminalistische Methode gestützt. Die Würdigung erweise sich aber als lückenhaft und die herangezogenen Kriterien seien zudem auch in der Zusammenschau nicht aussagekräftig. Um die Zahlungsunfähigkeit belegen zu können, hätte es unter den hier gegebenen Umständen der Auseinandersetzung mit möglichen größeren Bargeldbeständen bedurft. Da finanzielle Reserven in Form von Bargeld nicht ausgeschlossen worden sind, können auch die weiter angeführten Aspekte die Annahme der Zahlungsunfähigkeit ab Juni 2014 nicht belegen.
Kommentierung der Entscheidung aus unserer Sicht
Die Entscheidung macht deutlich, dass das Gericht auch im Rahmen der sog. wirtschaftskriminalistischen Methode in seiner Beweiswürdigung nicht völlig frei ist, sondern sich das Vorliegen der Zahlungsunfähigkeit aus der Beweiswürdigung schlüssig ergeben muss. Keine kritische Auseinandersetzung tätigt der BGH hingegen mit einem zentralen Problem im Zusammenhang mit der Strafbarkeit eines faktischen Geschäftsführers in solchen Konstellationen. Der Begriff des faktischen Geschäftsführers wurde zunächst für diejenigen Fälle herausgebildet, in denen sich ein tatsächlicher Geschäftsführer eines Strohmannes bzw. einer Strohfrau bediente, um die Sperrwirkung des § 6 GmbHG zu umgehen. In der Regel waren dies die Fälle des klassischen Ein-Mann-Unternehmens, bei dem dann z.B. die Ehefrau formelle Geschäftsführerin wurde. Die Rechtsprechung wendet das Institut des „faktischen“ Geschäftsführers aber auch auf diejenigen Fälle an, in denen der formale Geschäftsführer nicht nur im Handelsregister steht, sondern tatsächlich auch wie in dem vorliegenden Sachverhalt in die Geschäftsführung eingebunden ist. In einer Entscheidung des BayObLG hieß es hierzu im Jahr 1997 wörtlich: „Selbst nach strenger Auffassung ist die Stellung des faktischen Geschäftsführers dann überragend, wenn er von den acht klassischen Merkmalen im Kernbereich der Geschäftsführung (Bestimmung der Unternehmenspolitik, Unternehmensorganisation, Einstellung von Mitarbeitern, Gestaltung der Geschäftsbeziehung zu Vertragspartnern, Verhandlung mit Kreditgebern, Gehaltshöhe, Entscheidung der Steuerangelegenheiten, Steuerung der Buchhaltung) mindestens sechs erfüllt (BayObLG NJW 1997, 1936).“ Die Grundlage der Strafbarkeit besteht somit darin, dass es entgegen der förmlichen Eintragung im Handelsregister eine Person gibt, die tatsächlich die Geschäftsführung übernommen hat. Ist der im Handelsregister eingetragene Geschäftsführer als solcher tätig, so kann eine faktische Geschäftsführung nur dann angenommen werden, wenn die Tätigkeit gegenüber derjenigen des eingetragenen Geschäftsführers „übermächtig“ ist. Wird dem faktischen Geschäftsführer zudem der Vorwurf des Unterlassens gemacht, wie dies bei der Insolvenzverschleppung, sowie den Buchführungs- und Bilanzdelikten der Fall ist, so ergibt sich ein weiteres rechtliches Problem daraus, dass der faktische Geschäftsführer gar nicht die rechtliche Möglichkeit zum Handeln hat. Dies macht der zu verlesende Beschluss mehr als deutlich. Voraussetzung der Strafbarkeit eines Unterlassens ist aber die tatsächliche sowie rechtliche Möglichkeit zum Handeln. Dieses rechtliche Problem ist nicht neu, die Strafbarkeit des faktischen Geschäftsführers wird in diesem Zusammenhang damit begründet, dass er seinen überwiegenden Einfluss dazu verwenden muss, dass die Geschäftsführung ihre Pflichten erfüllt. Weigert sich nun aber der tatsächliche Geschäftsführer selbständig oder auf Anweisung einen Insolvenzantrag zu stellen, so müsste dies nach der Rechtsprechung der faktische Geschäftsführer selbst tun. In der Praxis zeigt es sich nun aber, dass nach Ansicht der Insolvenzgerichte ein faktischer Geschäftsführer nicht antragsberechtigt ist. Will ein faktischer Geschäftsführer einen Insolvenzantrag selbst stellen und dokumentiert er damit seinen auf Pflichterfüllung ausgerichteten Willen, so ergibt sich hieraus deutlich, dass der tatsächliche Geschäftsführer in diesem Punkt nicht fremdgesteuert ist bzw. war und dass dem faktischen Geschäftsführer die tatsächliche Handlungsmöglichkeit somit fehlte. Bei einer solchen Sachlage fehlt nach wie vor eine dogmatisch vertretbare Begründung einer Strafbarkeit.
Gericht: BGH
Aktenzeichen: 1 StR 456/18
Datum der Entscheidung: 11.07.2019