Arbeitnehmereigenschaft: Wie wirkt sich ein Irrtum über die Arbeitgeberstellung aus?
Sachverhalt
Der Angeklagte vermittelte über ein Einzelunternehmen Pflegekräfte an Privathaushalte. Die Pflegekräfte warb er in deren Heimatländern an, sorgte für ihre Reise nach Deutschland, brachte sie zu den Familien. Den Familien sicherte der Angeklagte zu, im Bedarfsfall für eine Ersatzkraft zu sorgen. Hierfür verlangte der Angeklagte bei der jeweiligen Familie eine einmalige Vermittlungsgebühr in Höhe von in der Regel 285 €. Mit der zu pflegenden Person oder, wenn diese hierzu – wie meist – nicht mehr in der Lage war, mit einem ihrer Angehörigen wurde über die Vermittlung jeweils ein Formularvertrag abgeschlossen. In dem Vertrag war vorgesehen, dass die jeweilige Pflegekraft zehn bis zwölf Wochen vor Ort tätig sein sollte; dieser Zeitraum wurde jedoch mitunter erheblich überschritten. Nach Ablauf des Pflegezeitraums kehrten die Pflegekräfte in der Regel in ihr Heimatland zurück. Über die bevorstehende Abreise wurde der Angeklagte im Vorfeld informiert, der dann bei Bedarf für eine andere Pflegekraft für die Familie sorgte. Während der Arbeitseinsätze der Pflegekräfte hatte der Angeklagte keinen Kontakt zu diesen, insbesondere kontrollierte er deren Tätigkeit nicht. Ein schriftlicher Arbeitsvertrag wurde in keinem der Fälle geschlossen. Lohnsteuerlich waren die Pflegekräfte nicht erfasst. Die von der jeweiligen Pflegekraft konkret zu erbringende Tätigkeit wurde – soweit hierzu noch in der Lage – von der zu pflegenden Person bestimmt, anderenfalls von einem oder mehreren Angehörigen des Pflegebedürftigen. Die Pflegekräfte wurden von dem verantwortlichen Ansprechpartner in der Familie in die von ihnen jeweils erwartete Tätigkeit eingewiesen und – teilweise engmaschig – kontrolliert. Das monatliche Entgelt belief sich auf Beträge zwischen 600 und 1.300 €, wurde vom Ansprechpartner in der jeweiligen Familie festgelegt und den Pflegekräften – in der Regel in bar – ausgezahlt. Neben dem ausgezahlten Lohn erhielten sämtliche Pflegekräfte freie Unterkunft in einem eigenen Zimmer im Haus der zu pflegenden Person sowie Vollverpflegung. Aufgrund dieser Ausgestaltung der Beschäftigungsverhältnisse ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die Pflegekräfte bei den zu pflegenden Personen oder dem für sie jeweils handelnden Angehörigen abhängig beschäftigt waren. Die Beurteilung, wer im Einzelfall auf Seiten der zu pflegenden Person die Arbeitgeberstellung einnahm, hat die Strafkammer dabei im Wesentlichen davon abhängig gemacht, wer die Zahlungen gegenüber der Pflegekraft übernahm, wer über deren Auswechslung oder Wiederkehr entschied, wie der geistige Zustand der zu pflegenden Person war und – ergänzend – wer die Vereinbarung mit dem Angeklagten getroffen hatte. Anmeldungen der Pflegekräfte zur Sozialversicherung wurden seitens der Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen nicht vorgenommen; Sozialversicherungsbeiträge wurden nicht abgeführt.
Entscheidungsgegenstand
Das Landgericht ging in seiner Entscheidung auch der Frage nach, ob die pflegebedürftigen Personen beziehungsweise die für sie handelnden Angehörigen es für möglich hielten und es billigend in Kauf nahmen, dass es sich bei dem Einsatz der Pflegekräfte um sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse handelte, weshalb ihnen selbst eine Arbeitgeberstellung zukam und dass sie ihren danach bestehenden sozialversicherungsrechtlichen Pflichten nicht nachkamen. Der Bundesgerichtshof musste nun die Frage entscheiden, ob die Strafkammer die Frage des subjektiven Tatbestands der zu pflegenden Person oder deren Angehörigen zutreffend beurteilt hat, insbesondere stellte sich die Frage, wie sich hier ein Irrtum strafrechtlich auswirkt.
Entscheidung
Der BGH hob das Urteil auf, weil das Gericht die Bestimmung des subjektiven TAtbestands unrichtig vorgenommen hat. Vorsätzliches Handeln ist bei pflichtwidrig unterlassenem Abführen von Sozialversicherungsbeiträgen (§ 266a Abs. 1 und 2 StGB) nur dann anzunehmen, wenn der Täter auch die außerstrafrechtlichen Wertungen des Arbeits- und Sozialversicherungsrechts - zumindest als Parallelwertung in der Laiensphäre - nachvollzogen hat, er also seine Stellung als Arbeitgeber und die daraus resultierende sozialversicherungsrechtliche Abführungspflicht zumindest für möglich gehalten und deren Verletzung billigend in Kauf genommen hat. Irrt der Täter über seine Arbeitgeberstellung oder die daraus resultierende Pflicht zum Abführen von Sozialversicherungsbeiträgen, liegt ein Tatbestandsirrtum vor; an seiner entgegenstehenden,von einem Verbotsirrtum ausgehenden Rechtsprechung hält der Senat nicht fest. Der BGH verwies das Verfahren an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurück.
Kommentierung der Entscheidung aus unserer Sicht
Durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs wird nun eine Rechtsprechchungsänderung festgeschrieben, die der erste Senat des Bundesgerichtshofs bereits in einer früheren Entscheidung bereits angekündigt hat und mit der die dogmatische Behandlung des subjektiven Tatbestands beim Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen derjenigen bei der Steuerhinterziehung angeglichen wird. Für die Verteidigung in den Fällen des § 266a StGB ergeben sich hierdurch durchaus neue Argeumentationsmöglichkeiten.
Gericht: BGH
Aktenzeichen: 1 StR 346/18
Datum der Entscheidung: 24.09.2019
Normen: § 266a StGB