Welcher Zeitpunkt ist im Jugendstrafverfahren für die Nebenklageberechtigung maßgeblich?
Sachverhalt
Die Staatsanwaltschaft wirft einem minderjährigen Angeklagten vor eine Gruppe von 15- 10 Personen dazu aufgefordert zu haben, sich zu bewaffnen und eine Flüchtlingsunterkunft aufzusuchen, um den dort lebenden afghanischen Flüchtlingen erhebliche Gewalt zuzufügen. Als die Gruppe in den Speisesaal der Flüchtlingsunterkunft eindrang, habe der Angeklagte als Rädelsführer an der Spitze der Gruppe agiert. Er habe dem fliehenden 14 jährigen Nebenkläger einen hölzernen Gegenstand an den Kopf geworfen, sodass dieser zu Boden ging, wodurch einige der Begleiter des Angeklagten, durch dessen Gewalt angestachelt, auf den Nebenkläger eintraten, um ihm tödliche Verletzungen zuzufügen.
Nachdem sich erst nach Beginn der Hauptverhandlung mittels Sachverständigengutachten herausstellte, dass der Angeklagte minderjährig war, wurde der Beschluss der Zulassung der Nebenklage durch die Kammer des Landgerichts widerrufen, da die Anklage lediglich den Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung gem. §§ 223, 224 Abs.1 Nr.2,5 StGB erhob und somit die Voraussetzungen des § 80 Abs.3 S.1 JGG nicht gegeben gewesen seien.
Entscheidungsgegenstand
Gegen diese Entscheidung erhob der Geschädigte gem. § 304 Abs.1 StPO Beschwerde.
Die Generalstaatsanwaltschaft beantragte den Beschluss der Kammer aufzuheben, da bei Anklageerhebung und damit zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Zulassung der Nebenklage die Möglichkeit des Vorwurfs eines versuchten Tötungsverbrechens bestanden habe. Wie sich die Beweislage im Laufe des Verfahrens darstelle, sei ohne Belang.
Entscheidung und Begründung
Das Oberlandesgericht Celle hielt die Beschwerde des Nebenklägers für zulässig und begründet und hob den Beschluss des Landgerichts auf. Grundsätzlich könne das Gericht in jeder Lage des Verfahrens die Zulassung der Nebenklage widerrufen, da die Entscheidung nach § 396 Abs.2 S.1 StPO keinerlei Rechtskraft entfalte und das Gericht somit nicht an diese gebunden sei; vorausgesetzt dieser habe von vornherein die rechtliche Grundlage gefehlt und dies habe sich nicht erst im Laufe des Verfahrens herausgestellt. Ein solcher Fall sei hier aber nicht gegeben.
Die Nebenklagebefugnis richtet sich aufgrund des minderjährigen Angeklagten nach § 80 Abs.3 S.1 JGG, wonach eine Befugnis nur hat, wer durch ein Verbrechen, beispielsweise gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit, verletzt wurde. Nach der Rechtsprechung zu § 396 Abs.2 S.1 StPO, die auch auf § 80 Abs.3 S.1 JGG anzuwenden sei, reiche auch eine geringe Möglichkeit aus, dass nach der Sachlage oder dem tatsächlichen Vorbringen des Antragssteller der Angeklagte wegen eines Nebenklageverbrechens verurteilt wird.
Diese geringe Möglichkeit sei unabhängig von der Anklage oder dem Eröffnungsbeschluss zu beurteilen und auch loszulösen von der Notwendigkeit eines dringenden oder hinreichenden Tatverdachts. Selbst eine wenig erfolgsversprechende Aussicht auf eine Verurteilung sei ausreichend. Nach diesen Grundsätzen könne ein Widerruf also weder auf die fehlende Nachweisbarkeit eines Tatvorwurfs, noch auf sich im Nachhinein als unrichtig erwiesene Behauptungen des Nebenklägers, gestützt werden.
Der Angeklagte habe, wie sich aus der Anklage entnehmen ließ, seine Begleiter bereits im Vorfeld in eine aggressive Stimmung versetzt und zusätzlich durch den ersten Übergriff diese zu weiteren Gewalttaten aufgewiegelt. Er habe dabei in Kauf genommen, dass durch weitere Taten, Menschen womöglich getötet werden würden. Damit sei der Nebenkläger i.S. von § 80 Abs. 3 Satz 1 JGG seelisch oder körperlich schwer geschädigt oder zumindest einer solchen Gefahr ausgesetzt worden.
Kommentierung der Entscheidung aus unserer Sicht
Die Nebenklageberechtigung war ursprünglich im Jugendstrafverfahren überhaupt nicht vorgesehen und bildet auch heute nur die Ausnahme. Die vorliegende Entscheidung beantwortet die Frage, auf welchen Zeitpunkt für die Beurteilung abzustellen ist. Es wird sich zeigen müssen, ob auch der BGH dies so sehen wird, bislang handelt es sich bei dieser Entscheidung aber um eine echte Leitentscheidung.
Gericht: OLG Celle
Datum der Entscheidung: 14.12.2016
Aktenzeichen: 2 Ws 267/16
Normen: § 80 JGG